Samstag, 24. Januar 2009
 
Internationale Konferenz Austromarxismus PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Eva Kumar   
Montag, 18. Dezember 2006

Ganz abseits des typischen Charmes für die üblichen Orte von linken Tagungen und Fortbildungs-Seminaren - in der Art von Erholungsheimen für stalinistische Spitzenfunktionäre der ehemaligen UdSSR - fand organisiert von KPÖ, transform!european network of alternative thinking und transform.at - am Wochenende von 15.-17.12. die Internationale Konferenz für Austromarxismus im Architekturzentrum des Museumsquartiers statt. Einige Eindrücke und Überlegungen einer Teilnehmerin.

Von Freitag bis Sonntag trafen sich TeilnehmerInnen eines breiten linken Spektrums mit Gästen und VertreterInnen der Linken aus aller Welt zu Podiums-Diskussionen und Diskussions-Panels in kleinerem Rahmen, zu kulturellen Veranstaltungen und Vorträgen, die sich ausgehend vom Thema Austromarxismus mit Ökonomie, Philosophie, Geschichte, Soziologie, Problemen und Visionen der neuen Linken beschäftigten. Entspannt, freundlich, tolerant, intelligent – so habe ich die Stimmung empfunden – was sicher auf die angenehme Atmosphäre der Veranstaltungsräume und nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen war, dass dies nicht eine Veranstaltung war, die den Anspruch hatte, alle linken Gruppierungen Wiens, bzw. Österreichs einzubinden und von einem Alleinvertretungsanspruch zu überzeugen. Von Vernetzung der Linken war zwar die Rede, aber nicht krampfhaft herbeigewünscht und befohlen, sondern als ein Ereignis nebenbei, das in der Geschichte und manchmal auch in der Gegenwart aus einer Gemeinsamkeit der Weltsicht und gemeinsamen Interessen heraus gewollt wird und eben stattfindet.

Abseits der Erörterung der „Nationalen Frage“ und der „Staats- und Transformationstheorie“ nahm ich an zwei Veranstaltungen im kleineren Rahmen teil: einem Panel zum Thema Utopie im Austromarxismus und dem anderen schon etwas breiter besuchten Forum zum Thema Parteimarxismus und Antisemitismus. Beide Veranstaltungen hatten sehr gut informierte Vortragende, die den geschichtlichen Bogen von Marx’ Zeiten bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg spannten – und was die Utopien betrifft, bis in die Gegenwart. Es geht zum einen um Utopie-Entwürfe, konkret um Visionen eines veränderten und veränderndem Umgangs mit Fragen der Geschlechterdifferenzen und allgemein von menschlichen Gefühlen, genauer einer „neuen Organisation“ der Liebe.

Der Blick auf den Austromarxismus als „Utopie-Laboratorium“ scheint dabei nicht allzu viel herzugeben: war die österreichisch-marxistische Vision vom Glück der Besitz des eigenen Häuschens im eigenen Grün des Schrebergartens und die Freude auf eine Zeit ohne Arbeit, die einem aber gerecht verdient erst nach einem Leben voller Plackerei zustand, nämlich als Pension, als Rente, als Ruhestand alles? Die Vision einer grundlegend anderen Gesellschaft, Gleichheit in den Beziehungen von Frauen und Männern, andere Beziehungsformen neben der Kleinfamilie, scheint in den Utopien der Austromarxisten nicht so auffällig stattzufinden.

Beglückungspolitik, Erziehung, Bevormundung, Ordnung, - noch immer Eckpfeiler nicht nur sozialdemokratischer, sondern auch revolutionärer Visionäre? Dagegen Schrages Zitat Landauers „aus dem Kapitalismus austreten“ – und als Folge dieses Willensaktes Autonomie in allen Bereichen. Herausfinden der eigenen wirklichen Bedürfnisse, deren Erfüllung auf angemessene Weise, passend zu den vorhandenen und erreichbaren Ressourcen der Gemeinschaft und der Gegend, in der man lebt. Energieautonomie. Konsumautonomie. Gemeinschaftliche Beziehungen, großfamilienartig organisiert, ohne Ausschluss von Alten, Schwachen oder Kindern, gewachsen, geworden.

Die Stimmung der Diskussion so frei und undogmatisch, dass es dem sozialdemokratischen Kultur-Veteranen Dieter Schrage - genauso wie ehemaligen Mühl-Kommunarden oder dem Open-Source-Visionär Franz Nahrada möglich ist, den Bogen zu spannen von der seit Marx veränderten und doch im wesentlichen gleich gebliebenen Sozial-Utopie zur persönlichen Erfahrung und dem privaten Traum.

Franz Nahrada spricht über die sich verändernden Wertmaßstäbe für menschliche Arbeit in den Zeiten der mikroelektronischen Technologieentwicklung, von der Herstellung von Bedingungen wie sie in der 3. Welt herrschen auch in den Metropolen Europas und Amerikas.
Er sieht neue Utopien verwirklicht durch die Möglichkeit dezentraler Produktion und der Vernetzung der assoziierten Produzenten. Er nennt als Beispiele Wikipedia oder die Open-
Source-Bewegung. Der „Inbesitznahme des Menschen mit Haut und Haaren“ durch den ungebremsten Kapitalismus stellt er die Utopie eines Lebens nach den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten (nach Marx) gegenüber.

Im Neusprech des Neoliberalismus werden „Freie“ Arbeits- und Lebensformen, ganz ohne Stechuhr: nämlich rund um die Uhr verfügbare, gut ausgebildete ArbeitnehmerInnen, mit ihrer Kreativität und ihren Gefühlen als ganzer Mensch dem Arbeitgeber verpflichtet - zur verbreiteten Lebensform. Passen müssen alleinerziehende Mütter oder Menschen über 40, außer Konkurrenz sind sie, den TeilnehmerInnen dieser Lebens-Modelle fällt ihre Sklaverei eine Zeit lang gar nicht auf – außer wenn ihnen früher oder später massive Anzeichen des Verhungerns bewusst werden.

Aber auch die autonomen TeilnehmerInnen an den idealen freien kreativen Netzwerken des Franz Nahrada müssen essen und Miete bezahlen. Und das geht nach wie vor nicht ohne Lohnarbeit und die wird immer weniger.

Wir bleiben ein bisschen ratlos und haben das Thema erst angetippt. Wir haben an Utopien auch nicht viel mehr zu bieten als die Austromarxisten des letzten Jahrhunderts.

Vom Kongress weg gehe ich inspiriert (auch durch die Punschdämpfe von 3 Weihnachtsmärkten auf meinem Weg) weiter ins Stadtkino, um den Film „Bamako“ des Maliers Abderrahmane Sissako zu sehen. Und da habe ich dann Verbindung zur Geschichte und Wegweiser zu einer Utopie der Gegenwart: ich weiß wieder, was ihr nicht fehlen darf: Afrika ist meiner Utopie zentral.

Oskar Lafontaine nennt bei einer Veranstaltung des Gegengipfels „Enlazando alternativas“ im Sommer 2006 in Wien als 3 wichtigste Forderungen, - Ansatzpunkte eines gemeinsamen Kampfes gegen den Neoliberalismus - und gemeinsamen Nenner für die Bildung von Allianzen quer durch Linke aller Parteien und Zivilgesellschaft:

1. Eine Re-Regulierung der Währungskurse, um hemmungslose Spekulationen und allzu leichte Kapitaltransfers zu verhindern

2. Rücknahme von Privatisierungen der öffentlichen Ressourcen

3. Änderung der Auflagen des IWF und der Weltbank bei Kreditvergaben

Die Unterorganisationen der UNO: Weltbank, WTO und IWF: Organisationen der UNO, deren Menschenrechtskanon, basierend auf der amerikanischen Verfassung - der Bill of Rights und dem Code Napoleon fast alle Staaten der Welt nach dem 2. Weltkrieg 1948 unterschrieben haben, sind heute im Interesse der „Entwicklungsförderung“ Vollzieher einer Politik der „Strukturanpassung“, die den afrikanischen Staaten die Luft zum Atmen wegnimmt.

Afrika ist kein armer Kontinent, es ist der reichste Ort der Welt. Aber Afrika ist, wie Aminata Traoré sagt, ein Opfer seines Reichtums. Zuerst vom Kolonialismus, dann – kaum sich davon befreit, - ausgeraubt und ausgebeutet von einem Wirtschaftssystem, für das es sich nicht frei entschieden hat. Die noch nicht zu Stabilität gelangten Regimes seiner Staaten sind gezwungen, an einem Wettlauf teilzunehmen, den Afrika nicht in Gang gesetzt hat und an dem es so nicht gleichberechtigt partizipieren kann. Die Regeln dieses Wettlaufes stehen krass im Widerspruch zur Lebensweise seiner Bewohner. Den Initiatoren und gewinnenden Teilnehmern dieses Wettlaufs hat dieser Kontinent allerdings schon immer gratis die materiellen und menschlichen Ressourcen als Basis für ihren heutigen Entwicklungsstand geliefert.

Schön jedenfalls, dass das an einem Tag möglich war: die Reise vom Austromarxismus über die Entwicklungen und politischen Implikationen der Globalisierung der letzten 20 Jahre zur Idee einer linken Utopie der Gegenwart.

Diese Konferenz hat jedenfalls – fern von Dogmatismus und Insider-Mentalitäts-Denken Treffen und Austausch wacher, kluger, kritischer Geister ermöglicht und als Folge weitere Kommunikation und Vernetzungs-Kontakte gefördert, Türen geöffnet, Informationen über die geschichtliche Basis der österreichischen Linken vermittelt und aufgefrischt, Anstöße gegeben und Richtung gezeigt, wie’s weitergeht.

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